Crossblock

FABRICE GYGI

14.10.2002 – 06.01.2003

Fabrice Gygi, Ausstellungsansicht Galerie DKM
Foto: Werner J. Hannappel

Fabrice Gygi | Anmerkungen zu Crossblock

Dem Schaffen von Fabrice Gygi ist ein Paradox zu Eigen: so manche Konstruktion, die er errichtet hat – Zelte, Podien, Gerichtssäle –, beruhen auf einer bedingten Benutzbarkeit, denn der Künstler hat sie zu symbolischen Einheiten umgestaltet. Wohl kaum jemand käme auf die Idee, in Grande tente (Großes Zelt) von 1994 zu schlafen, auf Podium von 1997 ein Theaterstück aufzuführen oder in Tribunal (Gerichtssaal) von 1999 Recht sprechen zu wollen. Da sich diese «Objekte» in Räumen befinden, die dem Kunstschaffen gewidmet sind, versteht man sie ganz selbstverständlich als darstellende Konstruktionen, die jedes aktives Mitwirken des Publikums ausschließen.

Fabrice Gygis Arbeit ist insofern eine politische Arbeit, als er sich mit der Gesellschaft als organisiertem Gefüge beschäftigt. Aus einem System, das gewöhnlich als vereinheitlich betrachtet wird, löst er oftmals mehrere Komponenten heraus, um die den Einzelteilen inhärente Ambivalenz aufzudecken. So setzen etwa seine Zelte die Bilder von Erster Hilfe (nach einer Katastrophe), zugleich wohl auch von einer Bergtour, ein. Sein Podium evoziert eine Bühne für Hobbysänger, ebenfalls aber einen Ort der öffentlichen Anklage. Mit seinem Gerichtssaal haben wir es mit einer pädagogischen Vorrichtung für Gymnasiasten (eine Art Schule der Justiz) zu tun und zugleich mit einem Feldgerichtshof, der ausgesandt wurde, über irgendwelche schreckliche Gräueltat zu befinden. Diesen Werken ist außerdem gemein, dass ihre Gegenstücke in der Welt draußen gerade zum Besuch von Menschen bestimmt sind. So ergibt sich die Funktionalität solcher Gestelle weitgehend aus der Benutzung, der sie unterworfen sind. Da sie aber von jeglicher menschlichen Präsenz leer sind, werden sie zu Flächen, die es geistig zu vereinnahmen gilt, zu Räumlichkeiten für das Imaginäre, zu Bereichen, in welchen der Betrachter zum Akteur mutiert.

Bei Fabrice Gygi wirkt eine Dualität, die sich in seinen Installationen offenbart, indem Formen des Alltags in die Welt des Symbolischen eindringen. Die vorgenommenen Strukturen greifen auf bereits vorhandene Gegenstände zurück, werden jedoch von Hand ausgeführt. Grande tente, Tribunal und Podium sind folglich eben nicht ein großes Zelt, ein Gerichtssaal oder ein Podium, sondern deren vom Künstler geschaffene Darstellung in realer Dimension. Dabei erinnert man sich gern an eines seiner frühen, noch stark symbolisch konzipierten Werke, die Sept tentes avec nombrils (Sieben Zelte mit Bauchnabel) von 1994, welche Behausungen aus Zeltplanen und Photographien von Bauchnabeln vereinen, als ob es darum ginge, das Zelt zu einer metaphorischen Erweiterung der Gebärmutter umzufunktionieren. Das Schaffen Fabrice Gygis beruht auf dem Befragen und Hinterfragen von Identitäten. Dieses Schaffen ist zwar fest in seiner persönlichen Lebensgeschichte mit Revolten, Abdriften und Neuanfängen verankert, doch bezieht es sich vor allem auf ein ganz besonderes Weltverhältnis, das sich plötzlich auf die Gesellschaft insgesamt erweitert hat.

Allerdings prangert Fabrice Gygi mit seinen Arbeiten nie direkt ein etabliertes System an. Sein Werk scheint vielmehr eingefangen zu sein zwischen Faszination und Abscheu vor der Autorität. Crossblock, eine Installation, die er 2001 für die 9. Veranstaltung von Sonsbeek konzipierte, ließe sich daher als kriegerisches Warnsignal, zugleich aber auch als pazifistische Anforderung verstehen. Es handelt sich um eine Wiedergabe, die sich darauf beschränkt, auf einen ganz bestimmten Gegenstand aus der Realwelt hinzuweisen und in das Fiktionale der Kunstwelt zu übertragen. Mit der Verunsicherung des Betrachters betreffs seiner Interpretation des Werks zielt der Künstler darauf ab aufzuzeigen, «auf welche Weise sich [der Betrachter] den gesellschaftlichen Zwängen als Staatsbürger anpasst » [1]. Crossblock übernimmt die Rolle einer Filmleinwand, auf die ein für die Gesellschaft spezifisches Bezugssystem projiziert wird. Ist es nicht, als verwiese das Werk – ohne dass dieses jemals eindeutig werde – wechselweise auf eine klassische Skulptur, wenn es im öffentlichen Raum steht, oder auf ein Ready-made, begegnen wir ihm in der Welt des Museums?

Christophe Cherix

[1] Vgl. Gespräch des Autors mit dem Künstler in: Christophe Cherix, Fabrice Gygi – Self-Tattoos  ·  Estampes et multiples  ·  1982–2001, (Werkverzeichnis) Cabinet des estampes du Musée d’art et d’histoire, Genf 2001.