Cruz del Romero

CLAUDIA TERSTAPPEN

23.06.2002 – 30.09.2002

Cruz del Romero _ 2, 1994 UV-Direktprint auf Plane 300 x 300 cm
Foto: Claudia Terstappen

Petra Maria Meyer | LichtErscheinungen und Abschattungen
Zur künstlerischen Arbeit
am kulturellen Gedächtnis von Claudia Terstappen
(Textauszüge aus dem Katalog)

 „Und wenn die PHOTOGRAPHIE Teil einer Welt wäre,
die noch ein gewisses Maß an Sensibilität für den Mythos besäße,
so würde man angesichts dieses reichen Symbols
ganz gewiss frohlocken(…).”
(Roland Barthes)

Spur und Aura

Hinsichtlich der Selbstauslegung einer Kultur spielt die in ihr dominierende Religion eine entscheidende Rolle, bezogen auf die Religion nimmt der «Altar» eine Zentralstellung ein. In vielen, sowohl polytheistischen wie monotheistischen Religionen markiert er als erhöhte Opferstätte den Ort der größten Nähe zu Gott.

Im Christentum findet diese Nähe Ausdruck im Symbol des Kreuzes, das als Stabilisator der Erinnerung in Wiederholung und Variation in Szene gesetzt wird. Davon zeugt Claudia Terstappens photographische Serie Cruz del Romero aus dem Jahre 1994. Ein unterschiedlich mit Blumen geschmücktes Kreuz bildet den zentralen Blickpunkt auf Altäre in verschiedenen Kirchen Spaniens. Durch ein wechselndes Ambiente und farbig differente Lichtstimmungen werden Schauplätze christlichen Kultes im Zeitalter technischer «Reproduzierbarkeit» (Benjamin) belichtet. Doch darin gehen sie nicht auf, denn Claudia Terstappen nutzt das Medium Photographie, um im Bereich des Sichtbaren an das Unsichtbare zu erinnern. Die Herrlichkeit der Kirche ist gleichsam Abschattung eines himmlischen Theaters des Lichts. So erlaubt sie dem Betrachter nicht nur, mit Walter Benjamin den Verlust der Aura zu beklagen, den durch Ausstellungswert verdrängten Kultwert zu betrauern, sondern auch an den kultischen Zusammenhang zur rituellen Praxis von Religion zu erinnern. Die künstlerische Gestaltung des Altars, welche die Photographie ausstellt, ist stets auf die örtliche Gegebenheit und die kulturellen Bedürfnisse ausgerichtet, d.h. auf die kulturvariante rituelle Praxis. Rituale können als «Weisen der Welterzeugung (Goodman) verstanden werden. Als solche sind sie untrennbar verbunden mit einem Handeln in mehreren „Welten“ (Sedmak). In diesem Sinne ist die rituelle Praxis eines Priesters nur durch die „unsichtbare Welt», auf die diese Praxis bezogen ist, zu verstehen. Er agiert zugleich in der Welt sichtbarer Symbole und in einer durch sie erzeugten unsichtbaren Sphäre, die nur von eingeweihten Ritualteilnehmern erkannt wird und für den Eingeweihten einen Zugang zur wie auch immer verstandenen «Transzendenz der Welt» bieten soll. Die rituelle Praxis an Opferstätten ist immer auch Inszenierung des Heiligen, des göttlichen Bereiches fern vom Profanen. (…)

Das Spurenmedium Photographie impliziert die Möglichkeit, das Ferne nahe zu bringen, doch die photographische Szene betont gleichsam «die Erscheinung einer Ferne», die sich des Betrachters bemächtigt. Eine ihm womöglich nahe stehende christliche Kultur zeigt sich hier in einem anderen Licht, welches das Belichtete gleichsam entzieht in eine wechselnde Farbigkeit, die das Bekannte verfremdet, das Nahe entfernt.
In der photographischen Inszenierung des inszenierten Altars, seiner Vervielfältigung und Reihung in Wiederholung und Variation von Interieur und Farbstimmung, interveniert die Geste des Blickes der Photographin. Sie zeigt sich für diese gefühlsintensive Anschaulichkeit einerseits interessiert, andererseits wirkt sie sachlich distanziert, sie steht der Sache nahe, eignet sie an und zieht sich gleichsam von ihr zurück. Gerade durch diese Gegenwendigkeit wird jedoch ein «magisches Verhältnis» erinnert, das man zu diesem vertrauten fremden Schauplatz der womöglich eigenen religiösen Sozialisation haben kann. Dieses Verhältnis entzieht sich der Erkenntnis und öffnet sich der Erfahrung. Claudia Terstappen gelingt auf diese Weise eine Rückbindung der persönlichen und der kulturellen Erinnerung an die eigene Erfahrung in leiblicher Empfindung, in der der Keim poetischer Erinnerung liegt. Keiner hat das besser versinnlicht als Marcel Proust, der mit dem Geschmack der «Madeleine» das Tor zur Erinnerung an eine frühere Welt öffnete.

Überträger spiritueller Kräfte

Bei ihrer künstlerischen Arbeit am kulturellen Gedächtnis nutzt Claudia Terstappen das Medium Photographie gleichsam zu einer metatheoretischen Reflexion. Dabei kann sie sich auf die besondere Zwischenstellung des Mediums Photographie stützen. Das Medium, in dem sich Licht und Schrift zum Bild verbinden, bildet die Schnittstelle zwischen alten und neuen Medien. Diese Zwischenstellung besteht auch hinsichtlich der medialen Funktion. Einerseits ist das technische Medium dem heute gängigen Aufgabengebiet von Kommunikationsmedien verbunden. Als solches dient es als Mittel und Verfahren zur Übermittlung und Verbreitung von Bild-Botschaften. Diese Funktion der Medien ist historisch gesehen jedoch keineswegs die einzig mögliche. Vielmehr sind Medien im Kontext ihrer magisch kultischen Tradition gesehen Überträger spiritueller Kräfte. Sie dienen weniger einer Erkenntnis durch Übermittlung von Wissen als der Ermöglichung von Transformation durch Erfahrung und Teilhabe an einem medialen Prozess.
Der «Altar» erinnert in den photographischen Arbeiten von Claudia Terstappen ebenso an diesen zumeist vernachlässigten Medien-Begriff wie die zahlreichen Bilder von Weihe- oder Opferstätten oder die zahlreichen Begegnungsorte und Landschaften mit Gott, Göttern und Geistern, die die Künstlerin von Reisen durch Brasilien, den USA oder Japan mitbrachte. Sie alle erinnern in unterschiedlicher Weise an das Unsichtbare im Sichtbaren und nutzen zur Erinnerungsstimulanz eine «Magie» der Photographie, die Roland Barthes diesem Medium zuspricht.
(…)
Die Suche nach Kräften und Energien an den heiligen Orten oder Kultobjekten von Stammeskulturen der Ureinwohner Amerikas oder Australiens, in den Kulturen und rituellen Praktiken Asiens und Afrikas haben die Arbeit vieler Künstler seit den 60er Jahren geprägt. Ein mit dieser Neu- und Wiederentdeckung mythischer Qualitäten entstandenes neues Bewusstsein für Form und Material ist in den Arbeiten von Claudia Terstappen deutlich spürbar, wenn auch sehr eigenständig gewendet. Ihre Arbeit am kulturellen Gedächtnis erfolgt überaus reflektiert im Spannungsfeld verschiedener Konzepte menschlichen Weltverhaltens. Wissenschaft, Religion und Mythos werden in variierte Wechselverhältnisse gebracht, die ihr erlauben, dualistische Schemata aufzubrechen, so dass strikte Trennungen von Vernunft und Imagination, Glaube und Aberglaube, Zivilisiertem und Wildem aufgehoben werden.
Claudia Terstappens Arbeit am kulturellen Gedächtnis ist zudem Auseinandersetzung mit dem, was es überliefert und was es ausgeschlossen hat. Sie konfrontiert mit den Geistern, die man nie wieder los wird, und mit denen, die man nie kennen lernte. Dabei überwindet sie binäre Grundlagen kultureller Konstruktion. Sie bewahrt nicht lediglich das Eigene und stellt es dem Fremden gegenüber, sondern zeigt das Fremde im Eigenen und das Eigene im Fremden. Nicht das Rationale und das Irrationale werden hier in kanonisierter Weise getrennt, sondern das Irrationale im Rationalen und die Rationalität des Irrationalen in Szene gesetzt. Auch das Sachliche und das Wunderbare sind hier nicht dualistisch getrennt.
Landschaftsphotographien der Künstlerin Claudia Terstappen sind keine Dokumentationen historischer Orte und keine ethnographischen Aufzeichnungen, sondern Versinnlichungen der Eindruckskraft von Orten und Landschaften. Es sind Ruhestätten der Götter, der Toten, der Imaginationen früherer Zeiten. In ihrem künstlerischen OEuvre treten Gedächtnislandschaften neben andere archaische GedächtnisMedien, neben Kult-, Ahnen- oder Grabsteine und den Körper, der mit Tätowierungen und Bemalungen und all den Spuren, die das Leben ihm einschrieb, deutlich macht, dass der Mensch nicht nur Vergangenheit hat, sondern auch ist.
Claudia Terstappens Arbeiten unterstützen eine Erinnerungskultur, die nicht eine Konstruktion von Geschichte favorisiert, sondern vielfachen Geschichten Raum gibt, eine Erinnerungskultur, die das Fremde nicht ausschließt, sondern als Chiffre anderer Kräfte aufgreift. Der Hauch des Anderen berührt den Betrachter ihrer Photographien ebenso wie den Rezipienten dinglicher Fetische und Kultobjekte, die als intensive Materialien in ihren Vitrinen und Installationen wirken. In ihrer künstlerischen Arbeit am kulturellen Gedächtnis setzt Claudia Terstappen der Begrenztheit des Wortes die unbegrenzte Kraft von Objekten und den ahnungsvollen Assoziationsreichtum von Bildern und Symbolen entgegen.

Petra Maria Meyer