Datei geöffnet
29.10.2001 – 05.01.2002
Datei geöffnet
Chang Geun Ohs Installation rhyme I besteht aus neun Monitoren in einer Halbkreisformation, die den Betrachter mit einer minimalistischen Sequenz von Wassertropfen und Klängen konfrontieren – in fast situationsspezifischem Bezug zum benachbarten Hafenbecken. Der «Reim» mag in der steten, aufeinander bezogenen Wiederholung der visuellen und akustischen Teilelemente bestehen und stellt darüber hinaus eine Referenz zu Bill Violas legendärem Wassertropfen her, in die Horizontale gezogen. Zeitgleich zur Präsentation von Chang Geun Ohs Werk während des Rundganges 2001 an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, wurde nebenan im ZKM eine ganz andere künstlerische Auseinandersetzung mit dem Element Wasser gezeigt. Dort verklärte Olafur Eliasson den Tropfenfall unter stroboskopischen Schwarzlicht zu einer poetischen Metapher von hohem ästhetischem Reiz. Eine vergleichbare, wenn auch viel stillere Schönheit zelebriert Chang Geun Oh mit der gründlichen Betrachtung des simplen Phänomens. Die dadurch demonstrierte Einzigartigkeit qua contemplationem findet sich häufig in meisterhaften Haiku-Versen und vielleicht auch deshalb heißt diese Arbeit rhyme.
Dahinter fesselt Georg Cockburns Video Kraftfeld 1 mit seiner diametral entgegengesetzten Auffassung von Geschwindigkeit. In einer Kapsel, die sich bald als Innenraum eines ICE-Zuges herausstellt, erlebt der Protagonist die Auflösung seiner Körperhülle in einem energetischen Umwandlungsprozess. Gewiss wird diese Transformation mit kreativen Mitteln simuliert und gewiss widerlegt unsere Erfahrung die hier suggerierten Kapazitäten eines Hochgeschwindigkeitszuges. Gleichwohl klingen fiktive Strategien von Dematerialisation und des Überwindens physischer Beschränkungen an. Da sei das Szenario des Beamens genannt oder Stanislaw Lems Phantasien Aus den «Sternentagebüchern Ijon Tichys» (Warschau 1971). Dort begibt sich der Held per Raumschiff auf eine Reise, während der er in diverse Zeitschleifen gerät, sich körperlich vervielfacht und schließlich mit den mannigfaltigen Präsenzen seiner eigenen Person zu kämpfen hat. Georg Cockburn unternimmt eine erneute künstlerische Untersuchung von Raum und Zeit, von Trägheit und Bewegung, freilich außerhalb kybernetischer Parameter und liefert gleichzeitig ein subtiles Sinnbild für die Multiplikation eines Individuums mit (bio)technologischen Mitteln, deren Realisierbarkeit seit Lems Zeiten ja enorm gewachsen ist.
Die damit eng verknüpfte Problematik von Identität und Individualität schlägt Jana Eskes zweiteilige Videoinstallation synsyn vor. Auch hier überlagern sich Konturen an den Rändern der Körperlichkeit, weichen diese gleichsam auf. Allerdings bedient sich Jana Eskes Untersuchung zweier Probanden, eine davon sie selbst; die andere ihr Bruder. In dem jeweils anderen Teil des kinästhetischen Diptychons schiebt sich das «lebendige» Gesicht über eine Diaprojektion seines Widerparts und strebt eine optische Verschmelzung an. Dass diese nur partiell gelingt, liegt symptomatisch in der Natur der Sache. Anders als die mehr Ego-zentrierte Identitätskunst der 80er und frühen 90er Jahre spielt hier nicht Selbsterfahrung als Abgrenzung bzw. Differenz eine Rolle, sondern vielmehr die Möglichkeit der Verschmelzung mit und des Aufgehens in dem Anderen. Dabei entstehen fast malerische Hybride von wechselweise Masken- oder Porträthaftigkeit und hinterfragen sowohl den Anspruch auf Einzigartigkeit wie auch den auf völlige Identifikation.
Dahinter und daneben haben sich auf einer Art Insel Studierende des Fachbereiches Produktdesign eingerichtet. Ihre Objekte wie Nadine Meisels pneumatisches Möbel Join, die Tisch-Bank-Kombination Captain Hook von David Schäfer oder Johannes Fischers neonleuchtender Strauch, die Lampe Morph LX, sind phantasievolle Blickfänger, die sich noch nicht exklusiv einer Wirtschaftlichkeit unterwerfen müssen, sondern das Abenteuer des Gestaltens in den Vordergrund stellen. Michael Haas primär nonfunktionaler Kopfhörer Nano Tokonoma weist denn auch mehr auf das Nach-Innen-Horchen als auf das Hören hin, in einer akustisch überfrachteten Zivilisation und auch Paul Felix Kerns augenzwinkerndes Service-Angebot Cool Cabin bietet temporäre Zuflucht aus Stress und sonstigen Zwängen des Alltags. Wo sich die Cool Cabin dem Nutzer als transparentes Futteral offeriert, lädt Daniela Klugs Sofa-Sushi Maki ebenfalls zum Rückzug in ein unkonventionelles Möbelstück mit sozial isolierenden Qualitäten ein. Diese Designideen attackieren gewitzt Grenzen zwischen Kunst, angewandter Kunst und Design. So auch Elisabeth Wimmers anatomisch-pathologisch grundierte Gestaltungen Der multifunktionale Mensch. Ein überdimensionales Auge fängt den Blick der Passanten und leitet ihn in den Innenraum, wo sich die Organe des menschlichen Körpers extern versammelt haben und als Fragmente auf ihre Einzelfunktion wie auch auf das einzigartige, hochkomplexe Zusammenspiel im Organismus hindeuten. Der multifunktionale Mensch bewegt sich als künstlerische Interpretation auf der Metaebene von Design und Nutzer und verleiht den Räumen eine provozierende und irritierende Atmosphäre. Auch der Versgenerator www.versfabrik.de, den ein Team des Fachbereichs Grafikdesign ständig weiterentwickelt, zeugt von dem Streben, Inhalte und Funktionalität in Einklang zu bringen und sich unbekümmert über Spartendenken hinweg zu setzen. Die Versmaschine experimentiert mit Zitaten und Traditionen, fügt die Ideen ihrer Konstrukteure hinzu, klittert Poesie aus Versatzstücken und liefert immer wieder spannende Resultate. Und genau das soll schließlich für die Betrachter wie auch für die Studierenden der HfG- auch die zunächst so heterogene Ausstellung Datei geöffnet erfolgreich leisten.
Susanne Altmann