IRAN _ AMLASH

Katalog

Einführung

Tiergefäße und Tierbronzen aus dem Iran
André Wiese


Tongefäße in Tiergestalt wurden seit der Jungsteinzeit (Neolithikum / Chalkolithikum, 6.– 4. Jahrtausend v.u.Z.) in verschiedenen antiken Kulturräumen angefertigt, wie beispielsweise in Ägypten, Anatolien und in Mesopotamien, wo auch der Ursprung der Tiergefäße vermutet wird. Nicht nur Tiergefäße, sondern auch Tierplastiken können Hohlräume aufweisen. Bei fragmentarischem Zustand einer solch hohl geformten Tierplastik ist es zuweilen schwierig zu entscheiden, ob es sich um ein Gefäß oder „lediglich“ um eine Tierfigur handelt. Neben den Ganztiergefäßen existieren auch Tierkopfgefäße, Gefäße also, die nur aus einem Tierkopf (Protome) bestehen sowie Gefäße mit plastischem Tierschmuck bzw. zoomorphen, d.h. tiergestaltigen Aufsätzen. Alle drei Typen sind in der hier vorgestellten Sammlung mit charakteristischen Beispielen vertreten.

Wie kam es überhaupt zur Bildung von Gefäßen in Tiergestalt? Die Antwort liegt auf der Hand: Zu allen Zeiten und in allen frühen Kulturen war es eine weit verbreitete Sitte, Tierbälge, sogenannte Tierschläuche, als Flüssigkeitsbehälter zu verwenden. Die Assoziation „Tier und Gefäß“ wurde also bereits früh gemacht. So erstaunt es nicht, dass die ältesten Gefäße einen schlauchförmigen Körper haben. Man bezeichnet sie denn auch in der Fachliteratur als „Askoi“ (askos, griech. Schlauch). Ein schönes Beispiel eines Gefäßes in Form eines Lederschlauches wird im vorliegenden Katalog als Nr. 12 vorgestellt. Der Phantasie des Töpfers ist es zu verdanken, dass die sackförmige Grundform der Askoi verschiedene zoomorphe Umgestaltungen erfahren hat. So hat er dem Schlauch z.B. Tierköpfe oder -beine angefügt. Auch die gewölbten und gedehnten Körper der „Amlash-Tiere“, die uns im vorliegenden Katalog besonders interessieren, erinnern an gefüllte, lederne Wasserschläuche. Doch der Anstoß, um einem Gefäß vollendete Tiergestalt zu verleihen, dürfte einen anderen Grund gehabt haben. Sicher haben religiöse und kultische Überlegungen, über die wir heute gerade für die bronze- und eisenzeitlichen Kulturen des Iran leider sehr wenig wissen, eine zentrale Rolle gespielt. Die frühen Hochkulturen des Mittelmeerraumes (z.B. in Ägypten) haben in den Tieren göttliche Mächte erkannt. Viele Tiere galten zudem als Schutz- oder Wiedergeburtssymbole oder repräsentierten als Ton- oder Bronzemodell unter den Grabbeigaben schlicht „materielle Versorgung“ für das Jenseits.

Aus ägyptischen und griechischen Quellen weiß man, dass Tiergefäße kultischen Zwecken dienten. Das Ausgießen von flüssigen Opferspenden wurde gleichermaßen im Götter- wie im Totenkult praktiziert. Oft ist eine Trankspende (Libation) auch mit einem Tieropfer verbunden worden. Als Spenden dienten neben Wasser, Wein, Bier oder Milch, die z.T. mit Honig gesüßt wurde. Man goss die Spenden nicht nur vor der Gottheit oder am Grabe aus, sondern pflegte gelegentlich auch die Flüssigkeit selbst zu trinken, um z.B. einer bestimmten Gottheit nahe zu kommen. In diesem Kontext sind insbesondere berauschende, also alkoholhaltige Getränke anzuführen. Das im Gefäß repräsentierte Tier, beispielsweise ein Rind, ein Hirsch, ein Widder oder ein Vogel, kann unter Umständen auch Bezug nehmen auf die verehrte Gottheit, die in dieser Tiergestalt erscheinen kann oder der zumindest das abgebildete Tier in irgendeiner Weise zugeordnet wird. Ferner steht sicherlich auch der Gedanke dahinter, dass die religiöse Macht des abgebildeten göttlichen oder symbolischen Tieres sich auf den Inhalt überträgt und dieser nun machtgeladen dem Trinkenden zum Nutzen gereicht wird. Andere Forscher wiederum führen an, dass die Rolle des Tiergefäßes explizit im Zusammenhang mit dem Tieropfer zu sehen sei: Der herausfließende Wein sei mit dem hervorschießenden Blut eines Opfertieres zu vergleichen. Die Spende aus einem Tiergefäß wird somit zu einer Ersatzhandlung für die sicher kostspieligere Schlachtung von Opfertieren.

Übersetzung: Michael Wolfson

Seite 10 – 17 (Katalog)