Ausgewählte Werke

ALTE KUNST: ÄGYPTEN

Fragment einer magischen Stele

Fragment einer magischen Stele, Inv.- Nr. 020.004.0002
© Stiftung DKM | Photo: SDKM

Ägypten
Spätzeit, 25. – 30. Dynastie, 7. – 4. Jh. v.u.Z.
Roter Kalkstein mit Brandspuren
5,4 x 12,7 x 5,4 cm HBT


Eine für die Spätzeit und die ptolemäische Epoche typische Denkmälergattung bilden die sogenannten Horusstelen. Sie haben sich ikonographisch aus den Stelen mit dem Schutzgott Sched entwickelt, die man seit der späten 18. Dynastie kannte. Sched, „der Retter“, war wie „Horus auf den Krokodilen“ ein Kindgott, der vor gefährlichen Tieren schützen sollte.

Die Horusstelen sind alle nach demselben Schema aufgebaut. Im Zentrum der Vorderseite steht der Kindgott Horus auf zwei Krokodilen. In seinen Händen hält er Schlange, Skorpion, Löwe und Gazelle, alles Tiere, über die er triumphiert. Über seinem Kopf ist zumeist eine große Besmaske herausgearbeitet. Die Stelen sind zudem auf der Basis, den Schmalseiten und der gesamten Rückseite mit magischen Vignetten und Zaubertexten versehen. Hier schließt unser Fragment an: Erhalten ist ein Teil des oberen, abgerundeten Stelenabschlusses. Auf der einen Seite erkennt man die Götter Re, Horus, Osiris und Isis (v.r.n.l. und nur im oberen Teil erhalten). Über ihnen standen einst ihre Namen, ergänzt mit einem Beinamen, von dem Reste erhalten sind. Auf der anderen Seite ist Onuris mit Federkrone zu sehen, gefolgt von der zaubermächtigen Selkis mit Wasserskorpion auf dem Haupt. Onuris ist ein alter Jägergott, der in der Regel mit Lanze dargestellt wird. In den Texten wird er gerne als „Herr des Gemetzels“ bezeichnet, der seine Gewalt gegen die Feinde Ägyptens richtet. Hier ist er wahrscheinlich beim Harpunieren eines Götterfeindes dargestellt, vielleicht Apophis als Schlange.

Im Wesentlichen geht es bei den Horusstelen um den Sieg über gefährliche Tiere und den göttlichen Schutz gegen Skorpione, Schlangen und Krokodile. Hinter dem Motiv des „Horus auf den Krokodilen“ steht eine Episode aus dem bekannten Göttermythos über Isis und Osiris: Es ist die zaubermächtige Isis, die ihren Sohn Harpokrates im Papyrusdickicht von Chemmis versteckt und ihn dort großzieht. Der Horusknabe wird so vor den mörderischen Nachstellungen des Seth geschützt und trotzt selbst allen Gefahren, die dort auf ihn lauern. Auf den Horusstelen ist er nun selbst zum Schutzgott geworden. Unterstützt wird er von Bes, dem insbesondere der Schutz der Mutter und des Kleinkindes zukommt.

André Wiese, 2011

Literatur
H. Sternberg – El Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte Ägyptens im 1. Jahrtausend v.Chr., Wiesbaden 1999, 58 f. H. Satzinger, Acqua guaritrice: Le statue e stele magiche ed il loro uso magico-medico nell’Egitto faraonico, in: A. Roccati – A. Siliotti (Hrsg.), La magia in Egitto ai tempi dei faraoni. Atti Convegno Internazionale di Studi, Mailand 29. – 31. Oktober 1985, Mailand 1987, 189 – 204. Stiftung DKM, Ägypten _ Egypt, Duisburg, 2011, Kat.-Nr. 36, 76 – 79.