Slurp
13.07.2007 – 28.10.2007
Slurp
Schon von weitem fühlt sich der Passant von dem merkwürdig amorphen Gebilde vor der Fenstergalerie der Stiftung DKM im Duisburger Innenhafen angezogen: einer Art übergroßen Frucht mit orange-brauner Schale. Den Blick zieht primär die Farbigkeit der «Hülle» auf sich: Der kolorierte Zement-Streichputz leuchtet optimistisch im frischen Orange eines Spielplatzgerüstes, beim nächsten Hinschauen scheint dieses Leuchten melancholisch im erdfarbenen Umbra rostenden Metalls zu verglimmen. Auch das Äußere weckt gegensätzliche Vorstellungen, erscheint einerseits seltsam vertraut und unserem Alltag nah, ruft etwa die spontane Assoziation einer übergroßen auf dem Rücken liegenden Frucht hervor, und stellt sich andererseits fremd und abstrakt als theoretisch entwickelter Komplex dar, der nicht von ungefähr an konkrete Freiplastiken erinnert — wie sie manchmal noch vor öffentlichen Gebäuden in Deutschland zu sehen sind. Einerseits weckt sie den Wunsch, sie anzufassen, zu besteigen oder ins Schaukeln zu bringen, andererseits, den Impuls unterdrückend, eine gewisse Distanz zu dem Kunstwerk zu halten. Diesem «Ding» antwortet ein Gegenstück, das hinter der Glasscheibe im sich von Außen als Vitrine darstellenden Ausstellungsraum platziert ist. Beide Skulpturen entsprechen formal einander als Pendants, bilden tatsächlich eine Einheit. Beide zeigen eine Art grauheller Schnittkanten, die einander zugewandt sind. Sie gegenständlich lesend, könnte man fragen: Wurde hier etwa ein monumentales Obstgewächs, eine Knolle, ein Teigklumpen oder eine Marzipanrolle, ein Brotlaib, ein Fleischstück, ein Wurstzipfel, möglicherweise eine Rinderzunge mit dem Messer in zwei unterschiedliche Abschnitte — der größere im Freien, der kleinere im Innenraum — getrennt? Die dinghafte Suggestion ist so stark, dass sich fast der Besucher fragt, welche unsichtbare Hand das kleinere Teilstück in die Raumvitrine Raum gelegt hat.
Gereon Krebber hat damit eine zweiteilige Skulptur realisiert, die in ihrer Ambivalenz auf konträre skulpturale Möglichkeiten reagiert und sie weiterführt. Einerseits entfaltet sie sich als skulpturales Ereignis in der Tradition konkreter, konstruktiver Plastik: aus sich heraus entwickelt, eigenen Ordnungsprinzipien folgend, autonom, sich selbst bedeutend und genügend. Doch nicht Konkretion oder Meditation visieren das Skulpturenpaar. Was Krebber zu faszinieren scheint, ist ihre wahre Funktion: der spielerische Reiz. Im Kontrast dazu sind Volumen und Oberfläche offensichtlich nicht aus dem Material oder dem Raumbezug entwickelt, sondern verdanken die individuelle, geradezu emotionale Eindringlichkeit einer hohen dinghaften Qualität, die beinahe an die Figuration eines Claes Oldenburg gelangt. Durchaus verweist der Ausstellungstitel Slurp auf ein entspanntes Verhältnis dieses Erben der Comicgeneration zu der ikonischen und emotionalen Qualitäten der Pop-art. Lautmalerisch und assoziationsfreudig erzeugt Slurp — das geräuschvolle Schlürfen — im Kopf eine Szenerie aus der Welt der gezeichneten Bildergeschichten und entzieht sich sogleich einer linguistischen Vereinnahmung. Doch nicht aus Oldenburgs künstlerischer Praxis, banale Alltagsobjekte zu ironischen Monumenten der Konsumgesellschaft zu transformieren, sondern eher aus dem leichtfüßigen Spiel mit unserer Imaginationskraft ziehen die zwei geteilte «Laibe» ihren Charme. Allerdings ist Gereon Krebber ein Ur-Enkel beider dominanten amerikanischen künstlerischen Strömungen der sechziger Jahre: der Popart und ihres Gegenpols der Minimalart, die erste verstanden als verzögerte Affirmation von Konsum und Alltag, die zweite als Reaktion auf den Verlust des Konkreten in den Massenmedien.
Dem entsprechen auch das grüne zu Kreisen sich formierende und doch diffus zerstreuende Formgewebe auf der Wand. In der schattenhaften, wie Nachbilder sich darstellenden Erscheinung erkennt man beim Herantreten zahllose grüne und (fast unsichtbar) weiße Papierpunkte — jeder einzeln mit der Hand auf die Wand geklebt. Die als Nebel ineinander verschlungenen Kreise replizieren und vergrößern die Hunderttausende mikrobenartiger Primärformen. Trotz der diffusen Struktur verleiht es der Wand etwas Zeichenhaftes, so dass sie nahezu als plakatives Signet lesbar wird. In dieser Spannung von identifizierbarer Markanz und ephemerer Dinglichkeit stehen sowohl die Skulptur wie auch die Wandgestaltung. Doch kaum merkt der herbeigelockte Passant — für einen Augenblick vom Glauben befreit, die Formen seien lediglich erarbeitete Resultate rationaler Planung und künstlerischen Kalküls —, dass darin die Illusion ihrer Emotion und Spontaneität eingelöst ist.
Michael Krajewski